App MyOlaf



WIE KANN TECHNOLOGIE BEI DER ÜBERWINDUNG DER ONLINE-SUCHT HELFEN?

Das Internet mit dem Smartphone als wichtigstem mobilen Endgerät ist und bleibt ein nützliches und mächtiges Werkzeug, das sich auch zur Bekämpfung der Online-Sucht sinnvoll einsetzen lässt. Technologiefeindlichkeit und Kulturpessimismus sind beim Thema „Internet und Endgeräte“ fehl am Platz, denn sie tragen nicht zur Lösung des Online-Suchtproblems in breiten Teilen der Gesellschaft bei. Denken wir darüber nach, wie wir diese Technologien erfolgreich einsetzen können, um unser Verhalten bewusst zu ändern und gesteckte Ziele zu erreichen.

Smartphones können sich als nützliche Werkzeuge zur Einleitung von Verhaltensänderungen erweisen, z. B. über Apps wie „Yazio“ (Zu- & Abnehmen, gesunde Ernährung), „Calm“ (Schlaf und Meditation) und „Runtastic“ (Laufen, Radfahren, Wandern). Das Smartphone bietet sich deshalb als mächtiges und praktisches Hilfsmittel an, weil wir es stets bei uns tragen. Daten wie Standort, Schritte, Puls etc. können automatisch in Apps übernommen oder vom Nutzer manuell eingetragen werden. Status und Auswertungen sind jederzeit schnell und einfach abrufbar. Darüber hinaus synchronisieren sich moderne Apps zwischen Smartphone und Tablet, sodass der Nutzer bequem über verschiedene Endgeräte hinweg Einträge vornehmen oder Auswertungen anschauen kann.

Die bislang eingesetzte Software auf Computern und mobilen Endgeräten zur Steuerung des Online-Verhaltens basiert vorwiegend auf den Prinzipien „Reduktion“ und „Verbot“. Überträgt man das Verbotsprinzip von Software wie beispielsweise „Salfeld Kindersicherung“, „JusProg“, „iOS Bildschirmzeit“ und „Google Family Link“ gedanklich auf Ziele wie Wunschgewicht und gesunde Ernährung, erkennt man die Defizite.

Wenn wir uns selbst oder unserem Kind sagen: „Alkohol, Schokolade und Fast Food haben viele Kalorien und sind ungesund, deshalb wird der Konsum von nun an genau protokolliert, beschränkt oder im Zweifel ganz verboten“, gelangen wir mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ans Ziel. Vielmehr schafft dieser Ansatz Raum für Frustration und Resignation. Um das Wunschgewicht und eine gesunde Ernährung zu erreichen, bedarf es des Prinzips der positiven Verstärkung. Dies gelingt durch Festlegen von realistischen Kalorienzielen auf Tages- oder Wochenbasis. Neben einer ausgewogenen Ernährung ist ein ausreichender Genuss von Lieblingsspeisen und Süßigkeiten erlaubt, um die Verhaltensänderung nachhaltig durchhalten zu können. Zusätzlich bedarf es regelmäßiger Bewegung, denn dies fördert Gesundheit und Wohlbefinden. Zudem sorgt Sport für zusätzlichen Kalorienverbrauch, womit sich der genussvolle Konsum von geliebten Speisen wieder ausgleicht.

Kehren wir nach dem Exkurs über Wunschgewicht und gesunde Ernährung gedanklich zum Thema „Online-Aktivitäten“ zurück. In der Analogie erkennen wir, was es braucht, um eine positive Verhaltensänderung herbeizuführen. Zwei Prinzipien sind hierbei von entscheidender Bedeutung. Zum einen gilt es, Verbote durch positive Verstärkung zu ersetzen. Zum anderen ist es notwendig, alle Online- und Offline-Aktivitäten zu erfassen, denn jede Stunde Online-Zeit ersetzt eine Stunde Offline-Zeit.

Die Beantwortung der Frage, ob zwei Stunden zusätzlicher Online-Zeit gut oder schlecht sind, hängt davon ab, wofür eine Person ihre Lebenszeit insgesamt verwendet: Geht sie beispielsweise viel unter Leute? Investiert sie Zeit in geliebte Hobbys und schaut nur zu bestimmten Zeiten aufs Smartphone? Kann sie sich gut konzentrieren und erhält genug Schlaf? – Oder kommuniziert sie ohnehin hauptsächlich online und trifft kaum andere Menschen? Hält sie sich in immer gleichen Nutzergruppen mit gegenseitiger Verstärkung auf? Gibt sie dem Reflex, aufs Smartphone zu schauen, kontinuierlich nach? Besitzt sie eine geringe Aufmerksamkeitsspanne und leidet unter Schlafproblemen?

Zur Bestimmung der Ausgangslage gibt der Nutzer zunächst seine Online- und Offline-Aktivitäten ein und führt einen Test zur Feststellung des Online-Verhaltens sowie der kognitiven Fähigkeiten durch. Darüber hinaus wird der Nutzer nach seinen persönlichen Prioritäten bei Online- und Offline-Aktivitäten sowie nach Art und Dauer derselben gefragt. Anschließend definiert der Nutzer einen Zielzustand, auf den er mit positiven Erlebnissen und Verstärkungen entlang der Wegstrecke hinarbeitet.

Zu diesen positiven Erlebnissen und Verstärkungen können z. B. folgende Erfahrungen zählen:

  1. Nach anfänglichen Schwierigkeiten gelingt es immer mehr, das Smartphone nicht in die Hand zu nehmen und in einem anderen Zimmer liegen zu lassen.
  2. Es ist wohltuend, nach langer Zeit wieder ungestört und ohne Ablenkung eine Stunde Zeitung oder Zeitschrift zu lesen und sich Tage später noch an den Inhalt erinnern zu können.
  3. Mit wirklichen Freunden etwas zu unternehmen, sie zu treffen oder mit ihnen zu telefonieren, trägt deutlich mehr zur Lebensfreude bei, als mit virtuellen Freunden über soziale Netzwerke zu kommunizieren und „Likes“ auszutauschen.
  4. Zu erleben, wie Konzentrations- und Leistungsfähigkeit sowie Wohlbefinden ansteigen, wenn man nicht fünf- bis zehnmal pro Stunde bewusst oder einem Reflex folgend auf das E-Mail-Postfach im Büro oder das Smartphone schaut, ist eine wunderbare Erfahrung.
  5. Besprechungen im Büro werden plötzlich als produktiver und atmosphärisch besser erlebt, wenn alle Teilnehmer die Smartphones ausgeschaltet lassen.
  6. Kinder verändern ihr Online-Verhalten einfacher und nachhaltiger, wenn die Eltern mit gutem Beispiel vorangehen.
  7. Eltern stellen fest, dass die Kinder freiwillig ihre Online-Zeit reduzieren, wenn die Offline-Zeit durch gemeinsames Spielen, Ausflüge oder gute Gespräche ausgefüllt ist.
  8. Die Familie stellt fest, dass mehr gemeinsame Zeit bleibt für Aktivitäten am Wochenende. Und dass gute Unterhaltungen ohne Smartphone, z. B. beim Essen, die Lebensqualität von Eltern und Kindern erhöhen.
  9. Zusätzliche Hobbys statt zusätzlicher Online-Zeit, in der man sich berieseln lässt, bereichern das Leben und verbessern die Stimmung.

Eine App, die auf positive Verstärkung setzt und die gesamten Online- und Offline-Aktivitäten erfasst, könnte zur Überwindung der Online-Sucht einen wichtigen Beitrag leisten. Im Idealfall wäre sie sowohl im Privatleben als auch im Beruf einsetzbar. Im Nachfolgenden werden einige wesentliche Eckpfeiler dargestellt, auf denen eine App beruhen sollte, um die oben beschriebenen Anforderungen erfüllen zu können.

(1) Name und Positionierung
Der Name der App sollte keine Worte beinhalten, die negativ besetzt sind und an Kontrolle bzw. Verbote erinnern (control, monitor, agent, check etc.). Idealerweise handelt es sich um einen eingängigen Namen oder ein Akronym. Arbeitstitel für diese App sei für den Moment „MyOlaf“, ihr Symbol könnte ein stilisiertes Gehirn sein. „MyOlaf“ steht für „MyOnline activity fellow“. Die App richtet sich an Jugendliche, Erwachsene, Eltern und Berufstätige. Je nach Nutzerprofil lassen sich bestimmte Funktionen aktivieren und deaktivieren. Die App sollte auf dem Home-Bildschirm des Smartphones erscheinen, um die nötige Aufmerksamkeit des Nutzers zu wecken.


Abb. 2: „MyOlaf“ – Home-Bildschirm, Name, Symbol, Auswertungen


(2) Bestimmung der Ausgangslage

(A) Die App erfasst anhand von vorgegebenen Kategorien die gesamten Online- und Offline-Aktivitäten inklusive Schlaf. Die Bildschirmnutzungsdaten (Dauer, Apps, Nachrichten, Aktivierungen) werden für das Smartphone und im Idealfall geräteübergreifend erhoben. Wenn möglich, werden diese Daten direkt aus dem Betriebssystem des Smartphones übernommen oder manuell über einen Zeitraum von einer Woche eingegeben.

(B) Zu Beginn führt der Nutzer in der App Online-Tests durch, die seine kognitiven Fähigkeiten und sein Online-Suchtverhalten messen (siehe z. B. CIUS-Test, Compulsive Internet Use Scale). Die Tests basieren in beiden Fällen auf einer Punkteskala, um im weiteren Verlauf Erfolge quantitativ aufzeigen zu können.

(C) Anhand der Frage „Was ist mir wichtig?“ wird der Nutzer gebeten, 100 Punkte auf vorgegebene Online- und Offline-Aktivitäten zu verteilen. Im Gegensatz zu einer klassischen Skala (von 1 bis 5, „wichtig“/„unwichtig“) ist der Nutzer beim selbstständigen Verteilen von Punkten zu einer eindeutigen Priorisierung gezwungen.

(D) Der Nutzer wird entlang verschiedener Kriterien befragt, wie zufrieden er sich fühlt und wie er seine Lebensqualität einschätzt. Darüber hinaus beantwortet er die Frage, ob und in welchem Umfang er persönlichen Handlungsbedarf in Bezug auf seinen Online-Offline-Mix sieht.

(E) Am Ende der Befragung erhält der Nutzer verschiedene Arten von Informationen. Zum einen erfährt er, wo er beim Thema „Online-Sucht“ momentan steht, wie sein heutiger Online-Offline-Mix aussieht, wie es um seine aktuelle Lebensqualität bestellt ist (farbliche Einordnung „grün/gelb/rot“) und wie er in seiner relevanten Vergleichsgruppe positioniert ist (Top 25 %, Top 50 % usw.). Zum anderen sieht er, ob sein aktueller Online-Offline-Mix im Einklang mit den Prioritäten steht, die er unter Punkt (C) selbst definiert hat. Aufkommende Diskrepanzen könnten sein: Wenn mir das Treffen mit Freunden so wichtig ist, warum sehe ich sie so selten und verbringe meine Zeit lieber allein in sozialen Netzwerken? Wenn ich mich vom Smartphone nicht ablenken lassen will, warum lese ich dann 150 Nachrichten am Tag und aktiviere das Smartphone 100-mal täglich?

(3) Definition der Ziele des Nutzers

(A) Der Nutzer legt die Dauer der Online-Zeit fest und unterteilt diese nach vorgegebenen Kategorien (Spiele, soziale Netzwerke, Musik, Fotos, Filme, Kommunikation, Information etc.). Die Anzahl der Aktivierungen des Smartphones legt er ebenfalls fest. Darüber hinaus hinterlegt er bestimmte Hygieneprinzipien, z. B.: Ich aktivere das Smartphone erst, wenn ich morgens aus dem Bad komme. (Alternativ: erst in der Schule oder am Arbeitsplatz.)

(B) Der Nutzer legt die Dauer der Offline-Zeit fest. Anhand vorgegebener Kategorien gibt er konkrete Ziele an. Diese wären z. B.: Treffen mit Freunden, Telefonate mit Freunden, Hobbys, Sport, Aktivitäten mit der Familie, Besuch interessanter Orte, Lesen (Zeitschriften, Sachbücher, Belletristik), wichtige oder interessante Themengebiete, mit denen sich der Nutzer intensiver auseinandersetzen möchte (z. B. Klimawandel, künstliche Intelligenz, van Gogh, Joanne K. Rowling, Südamerika).

(4) Messung der Ziele

(A) Der Nutzer kann täglich seinen aktuellen Status ansehen. Anhand einer Farbskala (grün/gelb/rot) wird der Status der Online-Ziele, der Offline-Ziele als auch der Gesamtstatus angezeigt.

(B) In regelmäßigen Abständen von vier bis sechs Wochen werden die Tests zum Online-Suchtverhalten und zu den kognitiven Fähigkeiten wiederholt. Außerdem beantwortet der Nutzer erneut die Frage „Was ist mir wichtig?“ und verteilt 100 Punkte auf vorgegebene Online-/Offline-Aktivitäten. Auch die Fragen zur Lebensqualität und zum persönlichen Handlungsdruck werden aufs Neue gestellt. Im Anschluss werden die gemessenen Veränderungen jeweils angezeigt.

(C) Um das Ausfüllen der notwendigen Informationen auf Tagesbasis zu gewährleisten, erhält der Nutzer entsprechende Benachrichtigungen (z. B.: „Hast du schon deine Aktivitäten vervollständigt?“). Zusätzlich unterstützt ihn die App mit Empfehlungen (z. B. „Zeit für eine Online-Pause?“) und motivierenden Mitteilungen (z. B. „Gratulation – ein weiterer grüner Tag!“ „Weiter so!“). Darüber hinaus können auch Warnhinweise aktiviert werden (farblich „gelb/rot“), wenn der Nutzer z. B. die vorgegebenen Online-Zeiten überschreitet.

(5) Offline-Angebote und Online-Tipps

(A) Die App zeigt dem Nutzer eine Liste von Hobbys, denen er allein oder gemeinsam mit Freunden nachgehen kann (z. B. Tischtennis, Tanzen, Fahrradfahren, Judo, Minigolf, Schach).

(B) Der Nutzer erhält Vorschläge zu konkreten Aktivitäten in seiner geografischen Umgebung (z. B. Ausflüge, Wanderungen, Fahrradwege, Hochseilgarten, Gokart-Bahn).

(C) Die App stellt aktualisierte Listen von Büchern und Zeitschriften bereit, die für den Nutzer interessant sein könnten. Diese Vorschläge helfen ihm auch beim Auffinden von neuem Offline-Lesestoff – besonders wenn er sich zum Ziel gesetzt hat, wieder mehr zu lesen.

(D) Die App gibt dem Nutzer konkrete Tipps an die Hand, wie er seine Online-Zeit reduzieren kann und Ablenkungen durch das Smartphone vermeidet. Diese Tipps sind auf das Alter und die persönliche Lebenssituation abgestimmt (Jugendliche, Erwachsene, Eltern, Berufstätige). Sie beinhalten Hygienemaßnahmen (z. B. Smartphone in Arbeitsphasen außer Reichweite legen, akustische und visuelle Benachrichtigungen auf dem Smartphone minimieren, feste Zeiten zur Bearbeitung von Nachrichten und E-Mails einrichten) sowie Anregungen zum sogenannten „Intervallfasten“ (z. B. Nutzung des Smartphones erst nach 13 Uhr) und zum bewussten Festlegen von Auszeiten, in denen man nicht erreichbar ist.

(6) Coaching

(A) Der Nutzer hat die Möglichkeit, auf Tages- und Wochenbasis einen Online-Offline-Tagesplan zu erstellen, den er jeweils abhaken kann. Zugleich findet ein automatischer Abgleich mit dem Gesamtstatus unter Punkt (4) statt.

(B) Die App stellt Methoden und Trainings vor, die zur Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten und sozialen Kompetenzen beitragen. Das Angebot erfolgt in Teilen im Rahmen der App und mit Verweis auf Partner.

(7) Partner und Anlaufstellen

(A) Der Partner-Bereich enthält ausgewählte Verweise auf Webseiten oder Apps von Kooperationspartnern, die einen positiven Beitrag bezüglich Online-Sucht und Online-Offline-Mix leisten können. Mögliche Themen sind z. B. gesunde Ernährung, Fitness und Sport, Schlaf und Meditation, Medienkompetenz oder bestimmte Bücher und Zeitschriften.

(B) Darüber hinaus werden verschiedene Anlaufstellen für physische und psychische Auffälligkeiten genannt. Der Betroffene und sein Umfeld können sich somit früh mit den Möglichkeiten professioneller Hilfe bei Diagnostik und Therapie vertraut machen.

(8) App-Versionen für unterschiedliche Anwender

(A) „MyOlaf“ als Basis-Version richtet sich an eine Einzelperson (Jugendliche oder Erwachsene).

(B) „MyOlaf Family“ richtet sich an Familien zur gemeinsamen Nutzung. Die Eltern können die Ziele der Kinder mit ihnen zusammen entwickeln und Fortschritte beobachten, gleichzeitig können sie sich ebenfalls persönliche Ziele setzen. Auf diese Weise kann die gesamte Familie ihre Entwicklungsschritte verfolgen. Die Erwachsenen können den Kindern als Vorbilder dienen, indem sie ebenfalls bewusst bestimmte Online Aktivitäten zugunsten von Offline-Aktivitäten reduzieren, was die Glaubwürdigkeit bei den Kindern stark erhöht.

(C) „MyOlaf Business“ richtet sich an Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Arbeitgeber können die freiwillige Installation dieser App auf dienstliche Smartphones anbieten. So erhalten Mitarbeiter die einfache Möglichkeit, ihr Online- und Offline-Verhalten im dienstlichen Umfeld zu beobachten, zu hinterfragen und zu steuern (z. B. Dauer und Frequenz des Lesens von E-Mails und beruflichen Chats, Anzahl von Nachrichten und Anrufen auf dem dienstlichen Smartphone, Einrichten von Freiräumen ohne Störung zur konzentrierten Arbeit etc.). Diskussionen über Verhaltensänderungen im Team und gegenüber Vorgesetzten bekommen eine faktenbasierte Grundlage mit der Möglichkeit von anonymen Benchmarks innerhalb und außerhalb des Unternehmens.